J. Michel Maier · Nicole Eisenberg

4. März 2001 - 16. April 2001

Galerie am Schloss
Inge Schuck
Staatsgasse 14 (B38), 67483 Edesheim

Katholische Kirche „St. Peter und Paul”
Ludwigsstraße, 67483 Edesheim

Rede zur Eröffnung der Ausstellung

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

man hat in vielen Großstädten den Aschermittwoch gemeinsam mit Künstlern begangen. So geschah dies in München, wo man den Mahnruf der Künstler als Seismographen ihrer Zeit durchaus als befruchtend, manchmal auch als konfrontativen Anspruch und Anstoß erfährt. Selten aber ereignet sich im ländlichen Raum eine außergewöhnliche Begegnung zwischen Kirche und Galerie. Deswegen verdient dieser Schritt unsere besondere Aufmerksamkeit. Die gleichen Künstler stellen ihre Werke sowohl in der Pfarrkirche St. Peter und Paul aus, darüber hinaus finden Sie Werke der beiden Künstler Nicole Eisenberg und J. Michael Maier in der Galerie am Schloß. Damit wird im Rahmen der langsam an Dynamik gewinnenden Debatte um die Eigengesetzlichkeit von Kunst und Kirche insofern ein Zeichen gesetzt, als beide für den Menschen in seinem abendländischen Kulturverständnis unverzichtbaren Institutionen unabhängig voneinander eigenen Gesetzmäßigkeiten unterworfen sind, aber doch beide, Kunst und Kirche, aufeinander als kulturelle Institutionen verwiesen sind.

Nicole Eisenberg hat mit ihrem Beitrag in der Kirche der Installation der zehn Gebote genau auf diese Feststellung rekurriert und deutlich gemacht, daß mit Hilfe eines Kunstwerks bei der Vermittlung der religiösen Botschaft wie der Glaubensinhalte fundamental nach einer neuen Sprache gesucht werden muß und die überlieferte Aussage als Deutung mit neuer Welterfahrung durch den Künstler in die Kirche eingebracht werden kann. Nicole Eisenberg ist so vorgegangen, daß sie vom Wort ausgehend dies als soziale Dimension in wärmendem Material, aufgefaßt hat, nämlich einer den Kern umhüllenden Manschette, sowie als naturgesetzliche Grundlage des Bekenntnisses zur Kreatürlichkeit vor Augen geführt hat. Durch Fragmentierung und Ausfaserung bis zur kompletten Textseite wird die Textmanschette auf einem eine Skala in Schwarz und Weiß andeutenden Zeichen zum Maßstab selbst und damit zu einem freiwillig rückgebundenen Zeichen, was ja religiös im Wortsinn letztlich bedeutet, Abbild der Wirklichkeit, in der der Mensch seine Kultur und die Grundgesetzlichkeit seines Menschseins als Stimme in der Zeit erfahren kann, die letztlich die Stimme Gottes ist.

In zwei anderen Tafeln wird mit Hilfe der aufgelegten und dann fragmentierten Silberfolie auf den Kultgegenstand in archaischen Bildspuren verwiesen. Was wie ein Fundstück anmutet, enthält dennoch den beschreibbaren und entsprechend benennbaren Bildkosmos. Es tauchen die Bilder auf, die auch die Bibel benennt, die Wolke, die Tafel, die Schrift, die Lichtspiegelung durch Lacke entsprechend transluzid oder stumpf. Sie ergeben das sich überlagernde Gefüge von symbolischen Zeichen, von Durchgeistigtem und sehr konkreter Erfahrung aus der gegenständlichen Welt.

Hier in der Galerie setzt sich die Begegnung mit ihrem Werk meditativ auf gleiche Weise fort. Es ereignet sich keine Aufspaltung, hier sakral und dort profan, sondern lediglich eine thematische und motivliche Ausweitung. Greifen wir ein großformatiges, unbetiteltes Werk im zweiten Raum an der Stirnseite auf. Wie schon bei den zehn Geboten, arbeitet die Künstlerin mit der Wirkung des unterschiedlichen Materials. War es in der Kirche Stoff und Holz, so ist es hier in Spuren und Zeichen aufgetragener Sand, an dessen Oberfläche Spuren und Zeichen sichtbar gemacht worden sind. Dabei bleibt die Naturbeobachtung im Norden erkennbar, wenn verschiedene Horizonte den Blick zyklisch leiten und sich die Erkenntnis eines periodisch sich vollziehenden Wechsels, nämlich Ebbe und Flut als umfassendes Ganzes präsentieren. Raum und Zeit sind die bildkünstlerischen Faktoren, denn die Vorstellung vom Ganzen der Zeit entzieht sich ins Metaphysische, denn erfahrbar ist sie nur als Dauer der veränderlichen Wesen, als Nacheinander und Folge. Damit ändert sich die Anschauung, was durch den Einfluß des Lichtes, das ebenfalls seinen Zyklus besitzt, eingebracht wird, wenn zunehmendes Dunkel abnehmendes Licht wird und die Oberfläche von Tranluzidem bis zum Opaken einer Metamorphose unterzogen wird. Zeit geht vorüber und erstreckt sich von der Vergangenheit in die Gegenwart und verweist in die Zukunft. Landschaft, wie sie Nicole Eisenberg zeigt, ist auch das Einbringen des Jetztpunktes einer konkreten Erfahrung, wie die Spiegelung des Horizontes auf dem Boden belegt. "Wem die Zeit wie Ewigkeit" (Drutmar Cremer) könnte man dieses mouvement perpétuel, diese zyklisch immer wiederkehrende Bewegung apostrophieren. Dazu braucht es dann den Maßstab, der wie ein Pegel Veränderliches registriert.

Das Vergeistigen als Prozeß eines Extrahierens der Beobachtung vor der Natur wird auch bei anderen Arbeiten dieser Künstlerin spürbar, wenn sie vom natürlichen Ausgangspunkt der Vielgestaltigkeit zur geometrisch abstrakten Form vordringt und dennoch das Individuelle und Einmalige der Erscheinungsform einbringt, wie die hochrechteckigen Stelen, in denen der semantische Code eines Stammes oder Astes sich im Vibrato der Schichtenmalerei herauslöst, aber durch die Isolierung eine sakral anmutende Feierlichkeit enthält, in der Gesetz und Strenge neben der dem Zufall und dem Farbenfluß überlassenen Malerei gleichberechtigt auftaucht.

Nicole Eisenberg beschäftigt sich mit allen Seinsspuren, der anorganischen Materie, dem Vegetativen in fast ikonenhafter Stilisierung, aber auch dem Zoomorphen, wenn sie in durchaus doppelbödiger Lesbarkeit das Anstürmen des Stieres als Zeichen animalischer Kraft zugleich mit dem Lebensbehauptungswillen eines Einzellers in Beziehung bringt und auf die Existenzform des Lebens schlechthin abhebt bis hin zum Anthromopomorphen, auf dem sich die menschliche Spur kalligraphisch abzeichnet bis zum Geistigen, jener abstrakten, haptisch greifbaren Blindenschrift als Mitteilungscode und Zeichen für Geistigkeit. An allem aber hat der Mensch teil. So erweist sich die Bildwelt der Künstlerin als neue sinnenhafte Erfahrung aus dem abstrahierten Spiel von Mensch und Zeichen, von Bild und seiner Auflösung. Der optische Code wird zum Bedeutungsträger, wobei gerade bei der Blindenschrift sich das gebundene Zeichen in gebundener Anordnung als Signal einer mehrdeutig dechiffrierbaren Sprache versteht. [...]

Clemens Jöckle, künstlerischer Leiter der Städtischen Galerie Speyer
auf der Vernissage am 4.3.2001


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